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Interview mit Dipl.-Psychologin Astrid Lübben

Blue Ribbon Deutschland: Wie schön, dass wir heute gemeinsam sprechen, Frau Lübben
Astrid Lübben: Ich freue mich die Psychoonkologie heute nochmal mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Im ‚Ich Stark‘ Podcast mit Christian Koch haben Sie das Thema ja auch angerissen. Daraufhin habe ich dann mal geschaut, was wir bei uns in der Klinik für Unterlagen für Prostatakrebs haben. Ich habe festgestellt, dass wir da vielleicht auch noch stärker auf das Angebot der Psychoonkologie hinweisen können. Zum Beispiel in Bezug auf Impotenz und wie man damit umgeht, wo man Hilfe bekommt. „Wie mache ich das mit meiner Partnerin?“ Man kann noch viel stärker ‚Werbung‘ für uns machen.
Prostatakrebs an sich ist aber auch generell eher selten bei uns in der Psychoonkologie vertreten. Das Rotenburger Krankenhaus hat eine eigene Urologie. Das Problem beginnt schon damit, dass die Liegezeiten immer kürzer werden. Zu manchen Patienten schaffen wir es einfach überhaupt nicht mehr rechtzeitig hinzukommen, bevor sie schon wieder entlassen sind. Und im hektischen Alltag geht den ÄrztInnen sicher auch mal unter, uns das Konsil zu stellen. Ich kann mir vorstellen, dass selbst wenn sie es den Männern vorschlagen, dass Männer das öfter nicht in Anspruch nehmen und der Meinung sind: „Ich brauche das nicht. Ich hab doch keinen Knall.“ Das wird immer noch viel mit dem klassischen Bild der Psychologie verbunden. Wir sind ein Konsiliardienst und laufen viel durchs Haus, sind viel in der Tagesklinik. Da treffen wir die Patienten häufiger. Aber im Akutbereich, wo es die Erstdiagnose gibt, da sind wir nur sehr schwach vertreten.

Psychoonkologie - ein wichtiger Baustein der Krebstherapie

Blue Ribbon: Wir erfahren oft, dass Prostatakrebs zwar als ein relevantes Thema erkannt wird, aber gar nicht unbedingt auf sich selber bezogen wird. Es betrifft in der Wahrnehmung eher nur die anderen. Und oftmals besteht die Sorge als schwach oder weniger männlich betrachtet zu werden. Das ist knifflig. Denn eigentlich muss das ja längst nicht mehr so sein. Die Frauen brauchen das meistens nicht mehr, dass die Männer stark sind. Aber sie brauchen das selber. Oder untereinander.
Astrid Lübben: Naja, und wenn wir uns jetzt die Generation ansehen, die Prostatakrebs betrifft, dann sind das ja durchaus eher ältere Männer. Ich bin einmal einem etwas jüngeren Mann begegnet. Der war Ende 50. Aber meistens sind es eher die Jahrgänge ab 60 aufwärts, die natürlich oft noch eine andere Erziehung genossen haben. Die Männer, die dem vielleicht offener gegenüber stehen, die kommen ja jetzt erst nach und tauchen bislang noch gar nicht in dem Bereich auf.

Blue Ribbon: Jetzt sind wir schon mitten drin, in der Diskussion. Aber was ist denn eigentlich inhaltlich Ihre Aufgabe in der Psychoonkologie. Was sind die typischen Dinge, die in Ihrer Job Description stehen?
Astrid Lübben: Wir verstehen die Psychoonkologie als ein Teilgebiet der Onkologie. Nicht als etwas Abgehobenes, was darüber steht, sondern was mit hinein gehört. Wir schauen natürlich auch auf die psychischen und sozialen Zusammenhänge, aber im Zentrum steht die Erkrankung. Tatsächlich gibt es ja auch noch so viel drum herum, was dann zur Belastung führt. Was vorher vielleicht noch einigermaßen funktioniert hat. Dann bricht das soziale System zusammen. Das muss auch im Blick behalten werden. Darum sagen wir auch immer sehr deutlich, dass wir auch für die Angehörigen da sind. Auch die können sich an uns wenden, denn die brauchen uns manchmal fast mehr, als die Patienten selber.
Wir gehören natürlich auch in die Prävention. Der gesundheitsbewusste Lebensstil ist da so ein Schlagwort. Es wird ja viel besprochen: „Ihr müsst Sport machen, an die frische Luft gehen.“ und solche Sachen. Aber wie bekomme ich das in meinen Alltag integriert? Bin ich motiviert regelmäßig Sport zu machen? Wenn ich von der Reha komme, bin ich noch ganz fest dabei. Aber Sie wissen, wie das ist mit den guten Vorsätzen. Da ist unsere Aufgabe zu besprechen, wie setze ich mir Ziele, die ich auch gut erreichen kann.

Blue Ribbon: Auch Bewältigung der Krankheitssituation?
Astrid Lübben: Selbstverständlich! Wie gehe ich mit meiner neuen Rolle um? Gerade bei den Männern ist es ja in der älteren Generation so, dass sie die Versorger sind oder gewesen sind. Auch wenn sie jetzt vielleicht Rentner sind haben sie die Aufgabe, Haus und Hof in Gang zu halten. Und die Frauen haben ja dann doch in dem Bereich oft noch die weicheren Aufgaben, wie wir so schön sagen. Und jetzt dreht sich das vielleicht auf einmal um und meine Frau trägt die Wasserkiste ins Haus und nicht mehr ich. Und damit klar zu kommen ist immer Thema.
Ressourcen Förderung. Stichwort Salutogenese. [ein Konzept, welches die Frage stellt, wie Menschen trotz Belastungen und Stress gesund bleiben, beziehungsweise welche Mittel einer Person zur Verfügung stehen oder sich aktivieren lassen, um mit Stress fertig zu werden, Belastungen zu ertragen und die eigene Gesundheit zu erhalten oder erst garnicht krank zu werden (Link zur Quelle hier)] Also: „Was kann mir helfen, durch dieses Thema einigermaßen gut durchzukommen?“
Und gerade in der palliativen Situation: Abschied, die Würde-zentrierte Therapie: Ist noch etwas offen geblieben? Sprich, einen Blick aufs Leben zu werfen, nochmal versuchen irgendwelche Sachen abzuschließen, zum Beispiel mit der Methode des heißen Stuhls. Dann auch nochmal Menschen Revue passieren zu lassen. Was war gut? Was möchte ich, das bleibt? All diese Sachen kommen noch dazu.
Entscheidungen treffen. Das finde ich sehr spannend. Chemotherapie, Radiotherapie oder Abwarten? Dieses Gefühl: „Klar mir wird geraten, abzuwarten. Aber da ist dieser Krebs in mir drin. Wie soll ich das aushalten?“ Damit klarzukommen, ist unsere Aufgabe. Die Ärzte stellen alle Möglichkeiten dar. Aber wie treffen Menschen in dieser Situation eine für sie gute Entscheidung? Bis hin zu: „Ich höre jetzt auf mit der Chemotherapie. Ich habe für mich entschieden, ich mache das nicht mehr und ich will das nicht mehr. Ich lasse es es jetzt laufen und gucke lieber nochmal, wie ich noch gute Zeiten hinkriege.“ Die Palliativmedizin ist da ja auch schon relativ weit, die Symptomlast der Menschen einzufangen, sodass Schmerzen erträglich sind. Da tut sich viel.

Blue Ribbon: Diese Entscheidungsfindung finde ich auch sehr spannend. Krankheitsbewältigung ist recht offensichtlich, dass das zu Ihren Aufgaben zählt. Aber vielen ist sicher nicht klar, dass die Unterstützung bei einer Therapieentscheidung auch in der Psychoonkologie seinen Platz findet. Das ist spannend und toll, denn das Mitentscheiden ist so wichtig, um mit dem Ergebnis zufrieden sein zu können und später nicht Groll oder Bedauern zu spüren. Es gibt ja sogar Studien dazu, die sagen, dass Mitentscheiden maßgeblich dazu beiträgt, mit der anschließenden Situation im Reinen zu sein. Auch wenn sie nicht optimal ausgeht.
Astrid Lübben: Ein ganz wichtige Satz ist: Es gibt keine falsche Entscheidung. In dem Moment, in dem ich sie getroffen habe, war es für mich die richtige Entscheidung. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Bereich Brustkrebs. Denn wir sehen viel mehr Frauen mit Brustkrebs, als Männer mit Prostatakrebs. Da wird oft empfohlen: „Der Krebs ist rausoperiert. Wir machen jetzt vorsichtshalber noch eine Chemo hinterher.“ Und es gibt Frauen, die sagen: „Das mache ich nicht.“ Aber mit dem Wissen, dass mit dieser Entscheidung das Risiko höher ist, ein Rezidiv zu bekommen. Eine Chemotherapie schließt das ja auch nicht komplett aus. Das Risiko wieder an Krebs zu erkranken besteht weiterhin. Aber zu wissen: „Jetzt war das für mich die richtige Entscheidung. Wenn dann der Krebs wiederkommt, weiß ich ja garnicht ob das meine Entscheidung war oder wäre der so oder so wiedergekommen.“ Damit dann leben zu können, dass es sein kann, dass ich mein Risiko erhöhe, dass der Krebs wiederkommt auch größer ist.

Blue Ribbon: Wie auch in vielen anderen Bereichen im Leben, ist ja oft das Entscheidungen treffen das Schwierige. Wenn es dann entschieden ist, dann fällt einem oft ein Stein vom Herzen. Das fängt ja an mit Berufswahl oder Wohnungssuche. Und wenn es dann aber um Leben und Tod geht, ist es eben auch eine Entscheidung aber nochmal um einiges komplexer und im Zweifel folgenreicher.
Astrid Lübben: Wichtig für die Männer ist es auch zu wissen: Ich als Psychoonkologin treffe nicht die Entscheidung. Das machen die Männer selber. Es ist nicht meine Aufgabe zu sagen: „Ich an Ihrer Stelle würde das oder das tun.“ Kann ich vielleicht als Frau in dem Fall noch nicht mal unbedingt beurteilen. Aber wir können abwägen, was zieht das nach sich und wie kann der Mann mit seiner Entscheidung gut leben.

Blue Ribbon: Finden Sie leicht den Zugang zu den männlichen Patienten oder erfahren Sie auch schonmal Ablehnung Ihres Angebots?
Astrid Lübben: Wenn ich ein Konsil (Auftrag) bekomme, dann gehe ich hin und sage erstmal, dass es ein zusätzliches Angebot und das es freiwillig ist. „Wenn Sie das nicht möchten, ist das kein Problem. Ich würde mich und unsere Angebote gerne einfach mal vorstellen.“ Und dann geht es erstmal darum mit Vorurteilen aufzuräumen. Als Erstes sage ich: „Ich will Sie nicht analysieren. Das ist nicht meine Aufgabe.“ Psychologin wird immer noch mit „Die will mich jetzt auf die Couch legen“ und „Ich soll hier mein Leben ausbreiten.“ verbunden. Es wird auch mit Psychiatrie verwechselt. Oft höre ich auch: „Wie soll das meinem Krebs helfen, wenn ich jetzt mein Leben ausbreite?“ Dann sage ich klar: „Darum geht es eben nicht. Aber kann es vielleicht sein, dass Sie nachts viel wach liegen und darüber nachdenken, grübeln. Da hätte ich Ideen, was Sie vielleicht mal ausprobieren könnten.“ Also schon wirklich dann auch in konkrete Beispiele gehen, was ich eigentlich überhaupt machen kann. Eine Methode heißt zum Beispiel „Stopp das Grübelkarussell‘. Natürlich kann ich den Krebs nicht wegreden. Der geht nicht weg nur weil wir miteinander gesprochen haben.
Im Großen und Ganzen sind ja alle Patienten nett und lassen sich dann schon auf Gespräche ein und dann kommt auch schon öfter mal hinterher: „Das hätte ich gar nicht gedacht. Das hat doch ganz gut getan.“ Also dass wir wirklich grob weggeschickt werden, das habe ich noch nicht erlebt. Aber schon, wenn ich mich dann vorgestellt habe, dass gesagt wird: „Ich glaube das ist nichts für mich.“ oder „Ich möchte das im Moment nicht.“ Aber immer freundlich. Und dann gehen wir auch.

Blue Ribbon: Es hilft ja auch nichts, wenn man das jemandem überstülpt. Sehr spannend, wie Sie schildern auf die Patienten zu zu gehen, sodass man sie nicht gleich abschreckt.
Astrid Lübben: Ich fange natürlich auch nicht gleich mit Worten wie Inkontinez und Impotenz an. Das ist oft im Akuthaus auch noch nicht so das Thema. Das hatte ich in der Lebensberatung schonmal bei einem jüngeren Mann. Der hatte sich im Krankenhaus an uns gewendet und ist dann durch Zufall auch in der Lebensberatung an meinem Schreibtisch gelandet. Das war so nicht geplant. Und da ging es dann tatsächlich mehr um die Dinge aus der Partnerschaft, der Sexualität, die Standeskraft. Sie zählt ja doch noch sehr für Männer. Und wie kann Mann dann auch Sexualität erfahren, wenn das nicht mehr so funktioniert und der Umgang z.B. mit einer Pumpe die Lust auch eher dämpft.

Blue Ribbon: Also sprich die Reflexion zu den Nebenwirkungen einer Behandlung.
Astrid Lübben: Genau, die Konsequenzen einer Behandlung. Die älteren Männer sagen dann oft mal: „Das ist doch schon lange vorbei.“ Da ist das dann nicht mehr so ein Thema. Sie kommen zum größten Teil  auch mit Inkontinez ganz gut klar. Wobei das ja nicht so ist, dass die sich ständig komplett einnässen, sondern, da geht es um ein paar Tropfen, wenn z.B. herzlich gelacht oder auch gehustet wird. Manche gehen damit ganz humorvoll um und sagen z.B.: „Heute werde ich auf Dichtigkeit geprüft.“ Vielleicht hilft es manchmal es mit mehr Humor zu nehmen, um zu sehen, es kann doch jedem passieren. Auch wenn wir alt werden halten viele Menschen das Wasser nicht mehr so gut, wie in jungen Jahren.

Blue Ribbon: Da braucht es vielleicht auch erstmal die Information, welches Ausmaß die Inkontinenz oder Impotenz denn haben kann. Eine leichte Inkontinenz bekommt im Zweifel niemand mit außer man selbst. Und trotzdem kann die Psyche da mitspielen, auch wenn es nur ein paar Tröpfchen sind.
Astrid Lübben: Vor kurzem hatte ich einen älteren Herrn, der sagte: „Wenn ich dann den Harndrang verspüre, dann muss ich mich aber auch ganz schön beeilen. Und dann schaffe ich es auch manchmal nicht mehr rechtzeitig zur Toilette.“ Vielleicht war ich da etwas zu direktiv mit meinem Vorschlag, dass er ja auch schon gehen könnte, bevor er den Harndrang verspürt. Aber er sagte: „Ich gehe doch nicht auf die Toilette, wenn ich nicht muss.“ Da muss wirklich sehr vorsichtig mit umgegangen werden. Das ist ein sehr sensibler Bereich. Selbstbestimmung und selbstbestimmt damit umgehen.

Blue Ribbon: Sie sagten Männer kommen nicht so viel zu Ihnen. Generell? Oder bezogen auf Prostatakrebs?
Astrid Lübben: Wir haben im Rotenburger Krankenhaus mehrere Krebszentren. Unter anderem das Darm- und Brustkrebszentrum. Und da ist es so, dass wir in diesen Zentren fast alle Patientinnen und Patienten sehen. Es geht immer noch ums Screening. Wir gehen zu allen hin und stellen uns vor. Wir fragen einfach etwas ab. Im Darmkrebszentrum sind es auch viele Männer. Da ist es schon immer ein bisschen schwieriger. Wenn sie sich dann öffnen und wir ins Gespräch gehen, dann ist es auch sehr gut und es tut sich eine Menge. Aber den Fuß in die Tür zu bekommen und überhaupt ins Gespräch zu kommen, da müssen wir schon sehr sensibel einsteigen. Manchmal steht ein Bild von der Familie auf dem Nachttisch oder vom Hund. Dann gehen wir erstmal über diesen Umweg und sprechen diese Themen an. So langsam bricht dann das Eis und es entstehen Möglichkeiten tiefer ins Gespräch zu kommen. Also Aufhänger finden, die erstmal nichts mit der Erkrankung zu tun haben, um in Kontakt kommen zu können. In meiner privaten Praxis und der Lebensberatung habe ich auch viel mehr Zeit. Im Krankenhaus haben wir, wie gesagt, viel das Problem, dass wir es auf Grund der kurzen Liegezeiten zu manchen Patienten nicht mehr rechtzeitig schaffen, bevor sie schon wieder entlassen sind

Blue Ribbon: Wann sehen Sie die Männer am ehesten. Direkt bei Diagnose oder zu späteren Zeitpunkten?
Astrid Lübben: Sowohl als auch. Psychoonkologie ist zu allen Zeitpunkten der Erkrankung möglich. Auch vor der Diagnose, in der Prävention, fängt sie schon an bis hin in die letzte Sterbephase. Wir sehen die Patienten manchmal schon wenn sie nur den starken Verdacht einer Diagnose haben, die noch nicht mit Histologie belegt ist. Dann nach der OP, zur Chemotherapie. Also zu allen Zeitpunkten der akuten Erkrankung. Wenn es dann nachher in die Nachsorge geht, dann nicht mehr so viel. Es sei denn sie melden sich nochmal selber.

Blue Ribbon: Gibt es Empfehlungen für Männer, danach auch noch jemanden aufzusuchen? Oder läuft das dann eher aus.
Astrid Lübben: Das kommt drauf an, wie der Kontakt gewesen ist und wie die Gespräche gewesen sind. Es kann angebracht sein, ihnen die Lebensberatung nochmal zu empfehlen. Auch wenn es noch andere Themen neben der Krankheit gegeben hat. Oder wenn es um die Nachuntersuchungen geht. Manche tun so cool, dahin zu gehen. Aber am Verhalten ist zu merken, dass es doch eine große Belastung ist.

Blue Ribbon: Es gibt ja auch viele, die Mitbetroffen sind, wenn eine Person erkrankt. Hatten Sie auch schon Angehörige im Gespräch mit dabei? Im Krankenhaus sitzt vielleicht auch manchmal jemand am Bett. Ist das Hilfreich oder schwieriger?
Astrid Lübben: Ganz im Gegenteil. Das ist für mich ganz gut, um mich bei den Angehörigen vorzustellen und ihnen zu sagen, dass sie sich auch ganz speziell an mich wenden dürfen, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Dann bin ich zumindest sicher, dass sie von mir gehört haben. Wenn ich das den Patienten sage - und ich gebe auch meine Visitenkarte gerne raus, die sie weitergeben dürfen - weiß ich natürlich nicht,  ob sie zu Hause dann wirklich noch dran denken. Manchmal ergibt sich ein gemeinsames Gespräch. Manchmal sage ich: „Ich komme nochmal wieder, wenn sie später wieder alleine sind.“ Das ist ganz unterschiedlich.

Blue Ribbon: Empfehlen Sie jemanden in das Arztgespräch mitzunehmen?
Astrid Lübben: Ja, das empfehle ich eigentlich immer. Natürlich als erstes den Partner oder die Partnerin aber auch wir würden mitgehen, wenn es gar niemanden gibt, der begleiten kann. Vier Ohren hören doch immer mehr als zwei. Die Tendenz auch bei schlechten Nachrichten so an Wörtern hängen zu bleiben. Dann fällt das Wort Krebs und alles was danach kommt, versinkt in einem Rauschen. Da ist es gut, noch jemanden mit dabei zu haben, der oder die dann noch zuhören kann.

Blue Ribbon: Was sind denn bei den Männern andere Strategien mit dem psychischen Aspekt fertig zu werden, wenn sie sich nicht an Sie wenden. Was gibt es für Alternativen?
Astrid Lübben: Leider ist es oft so, dass Männer versuchen, das mit sich selber auszumachen. Da ist dann auch die Frage, wie das in der Partnerschaft ist. Ist es üblich, über Befindlichkeiten zu sprechen oder war das noch nie Thema. Dann geht es manchmal auch garnicht, damit auf einmal anzufangen. Ich habe öfter auch Frauen, die sagen: „Es ist nicht mehr auszuhalten mit ihm.“ Wenn er sich immer mehr zurück zieht oder die Stressreaktionen, aggressivere Reaktionen, depressive Verstimmungen, die Männer dann schon eher versuchen, wegzudrücken und es nicht so wahrhaben wollen, dass sie vielleicht doch ein Problem haben, über das sie vielleicht mal reden sollten.

Blue Ribbon: Und mit FreundInnen aus dem Freundeskreis?
Astrid Lübben: Was wir öfter mal haben, sind anfragen nach Selbsthilfegruppen. Das können sich Männer scheinbar eher vorstellen. Vor Kurzem ist in ‚Der Onkologe‘ ein Artikel erschienen zu Maßnahmen, den Männern den Weg in die Krebsberatung zu ebnen. ‚Gut gegen Kopfkino.‘ hieß die Initiative. Und die haben Aktivitäten angeboten. Wandern, Segeln, Beckenboden Gymnastik, rein für Männer. Also ein geschützter Raum, wo eben die Männer die Möglichkeit haben, sich untereinander auszutauschen. Das scheint ganz gut zu sein.
Ich fand es auch sehr gut im Podcast, dass Sie den Begriff Vorsorge rausgenommen haben und eingeordnet haben. Wir gehen zur Untersuchung, damit der Krebs rechtzeitig entdeckt wird, wir beugen nicht vor.

Blue Ribbon: Der Begriff ist so tief drin! Das lässt sich kaum noch ändern. Leider.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Berufsleben. Haben Sie da konkrete Erfahrungen und Empfehlungen, wie man mit der Erkrankung im Beruf umgeht?
Astrid Lübben: Da muss ganz individuell geschaut werden. Für die einen ist es sehr wichtig, das überhaupt nicht zu sagen. Andere gehen sehr offen damit um. Leider ist es auch so, sobald dieses Wort Krebs auf einmal im Raum steht, kann so ein Rückzug von Freunden und Bekannten passieren. Dieses Wort schreckt einfach so ab. Egal, was für ein Krebs es ist. Ich fänd’ ja schön, wenn es üblicher wird, drüber zu reden, damit andere auch damit umgehen können. Wir haben selber einen Freund, der Prostatakrebs hat, der da sehr offen mit umgeht und wir hoffentlich auch gut mit ihm umgehen. Aber das liegt nicht jedem. Dem Arbeitgeber gegenüber ist es denke ich fair, alles zu sagen, was die Leistungsfähigkeit einschränkt. Mit dem Vorgesetzten sollte man vielleicht schon reden. Ob es auch noch jedem Azubi auf die Nase gebunden werden muss, muss schon genau überlegt werden.

Blue Ribbon: Es bestimmten Schlüsselpersonen zu erzählen, nimmt ja vielleicht auch den Druck, weiterhin genau die Leistung erbringen zu müssen, wie vorher. Und es hängt sicher auch vom Arbeitsumfeld ab, ob es dort sehr tolerant und vertrauensvoll zu geht oder eben nicht.
Astrid Lübben: Ja, genau. Wenn ich in einem Job arbeite, indem sowieso nur jeder so für sich arbeitet, muss es vielleicht nicht gesagt werden. Auch damit es einem nicht zum Nachteil wird.

Blue Ribbon: Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht der Austausch mit anderen Patienten?
Astrid Lübben: Ich glaube das ist das Wichtigste überhaupt. Mit Gleichgesinnten zu sprechen. Darum ja oft auch die Frage nach Selbsthilfegruppen. Ich glaub in Rotenburg gibt es auch eine Selbsthilfegruppe. Da fällt mir ein, da könnte ich mich auch mal vorstellen.

Blue Ribbon: Das Verständnis einer Selbsthilfegruppe ist ja auch manchmal unklar. Das Image, welches die Medien vermitteln, ist oft der Stuhlkreis. Es geht ja nicht nur darum, sich gegenseitig zu bedauern und Händchen zu halten, sondern da ist Schwarmwissen. Die Information, dass dort eben auch sehr viel Fachwissen zusammenkommt, fehlt oft. Und dann in zweiter Instanz wird vielleicht auch über das persönliche Schicksal gesprochen und es kann dann festgestellt werden, dass das auch ganz gut tut.
Astrid Lübben: Ja, genau. Ich habe das in der Kardiologie schon immer gesagt. Da ist so viel Wissen in den Gruppen, soviel Wissen kann ein Arzt alleine garnicht haben. Manche Dinge sind auch so speziell oder so selten und dort kommt einfach so viel zusammen.

Blue Ribbon: Ich würde gerne noch über die Kinder der Patienten sprechen. Prostatakrebspatienten sind in der Vielzahl ältere Jahrgänge. Das heißt, die Kinder sind da ja auch oft schon erwachsen. Haben Sie Erfahrungen, was die Schwierigkeiten sind, mit den Kindern ins Gespräch zu gehen?
Astrid Lübben: Wir erleben, dass Kinder, vor allem wenn es ein gutes Verhältnis ist, ihre Eltern nicht verlieren wollen und manchmal auch zu Behandlungen drängen, wenn der Patient eigentlich schon an dem Punkt ist, an dem er sagt: „Ich möchte das alles eigentlich nicht mehr.“ Das gibt oft große Konflikte im Familiensystem. Dieses Loslassen. Das ist natürlich auch schwierig.
Sind es noch kleinere Kinder, gibt es eine sehr schöne Broschüre „Mit Kindern über Krebs sprechen“ die sich mit den verschiedenen Altersstufen befasst. Leider erleben wir es auch immer wieder, dass Eltern sagen: „Meine Kinder sollen das nicht wissen, sie sollen unbelastet bleiben.“ Aber was sie vergessen ist, dass die Kinder ein unendlich feines Gespür dafür haben, dass da etwas nicht stimmt. Und nichts ist schlimmer, als nicht zu wissen, was da ist, dass nicht stimmt. Wir raten mit Kindern jeder Altersstufe entsprechend dem Alter über das Thema zu sprechen. Und da gibt es gute Literatur, wie so etwas gut angesprochen werden kann. In Rotenburg gibt es auch ein sozialpädiatrisches Zentrum. Und durch Zufall hat sich mal eine Zusammenarbeit ergeben, durch eine Mutter mit ihrem Sohn. Die haben ein Mehrfamilienprojekt entwickelt, wo Familien, in denen ein Elternteil an Krebs erkrankt ist, zusammenkommen und zunächst was zusammen machen. Dann werden sie aufgeteilt und die Erwachsenen bearbeiten ihre Themen und die Kinder ihre. Am Schluss kommen dann alle wieder zusammen. Das Projekt nennt sich „In einem Boot“. Die Idee stammt aus dem Projekt „Kids Time“. Das ist ein Mehrfamilienprojekt für Familien, in denen ein Elternteil an einer psychischen Erkrankung erkrankt ist. Diese Mehrfamilienprojekte sind im Moment sehr im Kommen und liefern den Familien einem Blickwinkel aus verschiedenen Richtungen.

Blue Ribbon: Wie alt sind die Kinder in den Projekten?
Astrid Lübben: Das läuft erst noch an. Wunsch ist, dass es langfristig nach Alter gebündelt werden kann, sodass jedes Kind zu seinem Recht kommt. Sie sollten sich schon gut artikulieren können, also 7 oder 8 ist schon sinnvoll bis 11 oder 12. Wenn sie älter sind und in die Pubertät kommen, dann bietet sich das in diesem Format nicht mehr so an.

Blue Ribbon: Da schließt sich dann vielleicht unsere Pink Kids Gruppe an, die für jugendliche Kinder von an Krebs erkrankten Eltern ausgelegt ist. Eine Gruppe von Jugendlichen, die sich untereinander aber auch andere mit ihren Erfahrungen unterstützen. Mittlerweile bieten wir sogar ein Pink Kids Camp an, wo die Jugendlichen ein gemeinsame Outdoor Woche erleben.
Astrid Lübben: Wichtig ist es vor allem, den Kindern klar zu machen, dass sie nicht schuld sind, und sie ein Recht haben, weiterleben zu dürfen und dass sie weiterhin ein Recht haben glücklich zu sein und Freude im Leben zu empfinden. Kinder laden sich da manchmal ganz schön viel auf. Da muss gut aufgepasst werden. Wir hatten gerade so einen Fall mit einer 12-Jährigen, wo das ganze soziale System zusammengebrochen ist und sie die ganzen Elternaufgaben übernimmt, kocht und putzt. Das sollte nicht sein. Sie hat selber genug zu verarbeiten und sollte weiter Kind sein dürfen.

Blue Ribbon: Bei Prostatakrebs gibt es zum Glück sehr hohe Überlebenszahlen. Aber es gibt auch die Männer, die mit der Information konfrontiert werden, dass sie den Krebs nicht überleben werden. Das ist sicher auch ein großer Teil Ihrer Arbeit.
Astrid Lübben: Genau, das Verarbeiten, wenn Wünsche nicht mehr erfüllt werden können. Gerade, das ist etwas, was ich persönlich in meiner Arbeit sehr gelernt habe. Schiebe nichts auf. Also entweder du kannst es jetzt machen oder du hast vielleicht nicht das Geld dafür. Dann ist das vielleicht so. Aber sage nie: „Das mache ich, wenn ich in Rente bin.“ Das ist mir sehr wichtig geworden. Denn wir haben es in den Gesprächen viel mit Bedauern zu tun. „Hätten wir das damals mal gemacht, als wir die Idee hatten. Da haben wir immer gesagt: ‚Die schöne Kreuzfahrt gönnen wir uns, wenn wir in Rente sind.“ Solche Sachen. Manchmal auch ganz banale Sachen. Manchmal aber auch sehr wichtige Sachen. Das Buch von Bronnie Ware ‚5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen‘ ist da sehr zutreffend. Da werden ein paar Punkte des Bedauerns aufgegriffen, zum Beispiel jetzt nicht mehr die Möglichkeit zu haben, eigene Entscheidungen treffen. Immer hat man Rücksicht genommen auf andere.


Steckbrief Astrid Lübben
Ich habe Psychologie studiert und dann fast zehn Jahre in der Kardiologischen Rehabilitation gearbeitet, dort meistens mit männlichen Patienten. Im Zuge des Wunsches der Klinik im pneumologischen Bereich eine Reha bei Bronchialkrebs anzubieten, habe ich bei WPO die Weiterbildung zur Psychoonkologin absolviert. Nach einiger Zeit hatte ich nochmal Lust, eine Ausbildung zu machen und habe entschieden, die Ausbildung zur Ehe- Familien- und Lebensberatung zu machen. Im Zuge dessen musste ich in einer Lebensberatungsstelle Praktikum machen und bin dann immer mittwochs in Rotenburg in die Beratungsstelle des Diakonischen Werkes gegangen. Über die habe ich dann eine Stellenanzeige des Rotenburger Diakoniekrankenhauses gefunden, die eine Psychoonkologin suchten. Seit vier Jahren arbeite ich jetzt an vier Tagen in der Woche im Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg in der Psychoonkologie und auf der Palliativstation und einmal in der Woche bin ich in der Lebensberatungsstelle und mache da Einzel und Paarberatungen. Aufgrund des Einsatzes in der Palliativstation habe ich auch die Zusatzqualifikation Palliativpsychologie erworben. Und jetzt habe ich auch noch angefangen, mir ein kleines selbständiges Standbein aufzubauen, indem ich Onlineberatung anbiete. Während Corona haben wir gemerkt, dass das funktioniert. Psychologen haben sich lange dagegen gewehrt. Aber Übertragung und Gegenübertragung funktioniert genauso in der Videoberatung. Ich habe vor Kurzem einen Honorarvertrag mit einem Palliativstützpunkt abgeschlossen, die bewusst auch eine Psychoonkologin gesucht haben, die Onlineberatung anbietet, weil ihre PatientInnen teilweise eben nicht in der Lage sind, noch irgendjemanden aufzusuchen.


Wir sind sehr dankbar für die wertvollen Einblicke in Frau Lübbens Arbeit und die Zeit, die sie sich für den Austausch mit uns genommen hat!

Astrid Lübben erreichen Sie über ihre Website: www.beratung-luebben.de oder indem Sie uns kontaktieren und wir Ihre Anfrage weiterleiten.