Interview mit Univ. Prof. Dr. med. Peter Albers
Interview Transkript 13. Februar 2024
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Albers, Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Düsseldorf & Leiter der Abteilung C130 - Personalisierte Krebsfrüherkennung des Prostatakarzinoms am Deutsches Krebsforschungszentrum (dkfz)
Blue Ribbon: Was sind gute Gründe für eine Prostatakrebs Früherkennungsuntersuchung und gibt es auch Gründe, die dagegen sprechen?
Prof. Albers: Ganz grundsätzlich ist Früherkennung bei den Erkrankungen sinnvoll, die sehr häufig sind und die am Ende auch sehr häufig zum Tod an der Krebserkrankung führen. Aber Früherkennung macht nur dann Sinn, wenn ein früh erkannter Krebs auch heilbar ist. Das trifft zum Beispiel bei selteneren Krebserkrankungen wie Nierenkrebs und nahezu unheilbaren Krebserkrankungen wie Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht zu.
Aber bei Prostatakrebs, als häufigstem Krebs des Mannes, ist Früherkennung natürlich grundsätzlich sinnvoll, weil ein früh erkannter Prostatakrebs gut behandelt werden kann und man damit auch das Risiko vermindert, an diesem Tumor zu sterben. Ein anderer wichtiger Aspekt der Früherkennung ist aber auch, dass man durch eine rechtzeitige Diagnose bei vielen Männer später eine langjährige medikamentöse Therapie einer fortgeschrittenen Erkrankung umgehen kann. Daher ist Prostatakrebs eine Krebserkrankung, bei der eine Früherkennung wirklich Sinn macht.
Blutabnahma als Alternative zur Tastuntersuchung
Man muss nur aufpassen, dass bei dieser Häufigkeit von Prostatakrebserkrankungen - das ist der Nachteil - Tumorarten, die den Menschen eigentlich gar nicht bedrohen würden, durch eine unnötige Diagnose und Therapie vermeidbare Nachteile für Männer auslöst. Dies sind vor allem die unnötige psychologische Belastung des Wissens um eine Krebserkrankung und zum Teil auch belastende Therapien. Durch unkontrolliertes Screening war dies in den letzten Jahrzehnten und ist bis heute der Fall. Bei der berechtigten Frage des Mannes nach Früherkennung wurde häufig völlig planlos, d. h. unabhängig vom Risiko und Alter der Tumormarker PSA, das prostata-spezifische Antigen, bestimmt. Wir sind zwar froh, dass wir beim Prostatakarzinom als eine der wenigen Krebserkrankungen überhaupt einen Tumormarker im Blut zur Verfügung haben. Aber er ist eben nicht nur bei Prostatakrebs auffällig verändert, sondern auch bei anderen, gutartigen Erkrankungen. Wenn man diesen Marker weiter so unkritisch verwendet und nicht intelligent einsetzt, dann resultiert daraus eine ganz hohe Rate an unnötig diagnostizierten Krebsformen, zum Teil in hohem Alter, die die Menschen gar nicht bedroht hätten. Und damit hat man mehr Schaden als Nutzen ausgelöst.
Das Ziel der Forschung der letzten mindestens zehn Jahre war somit eigentlich, dass man versucht hat, die aggressiven Formen des Prostatakrebs möglichst früh zu erkennen und zu behandeln und die Formen, die für den Mann nicht bedrohlich sind, auch nicht zu erkennen. Und dafür muss man den PSA Wert mit Überlegung einsetzen. Dieses Vorgehen nennt man risikoadaptierte Früherkennung und bei einem staatlich organisierten Programm risikoadaptiertes Screening. Denn wenn das funktioniert - und wir konnten bereits zeigen, dass das risiko-adaptierte Vorgehen gut akzeptiert und praktisch umsetzbar ist und entsprechende Ergebnisse liefert - dann wäre der Grundstein für ein staatlich organisiertes Screening Programm gelegt.
Im Moment wird die Früherkennung durch die Angst ausgelöst, die ein Mann hat, an Krebs zu erkranken. Und dabei macht er fast alles falsch, was man falsch machen kann. Er geht zu spät zur Untersuchung, macht zu häufig PSA Tests, lässt sich zu häufig und unnötig diagnostizieren. Wir müssen die Gruppe derer, die wirklich Prostatakrebs haben oder bekommen werden, wesentlich besser einschränken und dann die, die kein oder ein sehr geringes Risiko haben, Prostatakrebs zu entwickeln - und das kann man mittlerweile ganz gut feststellen – vor zu häufigen PSA Tests und unnötigen Untersuchungen bewahren. Dies bedeutet, dass wir nicht allen Männern ab 45 Jahren empfehlen werden, jedes Jahr zum Arzt zu gehen.
Und da komme ich zu einem weiteren meiner wesentlichen Punkte, den viele vergessen. Das ist, dass Früherkennung zunächst eigentlich nicht in die Hand der Ärzte gehört. Früherkennung ist etwas, was Gesunde betrifft. Es geht nur um Gesunde. Die Menschen sind gar nicht krank. Sie wollen nur wissen‚ bekomme ich Krebs oder bekomme ich keinen Krebs. Das hat mit Diagnose und Kranken erstmal gar nichts zu tun. Deutschland ist da falsch aufgestellt und leitet die Ratsuchenden direkt in die Praxen und Krankenhäuser, wo natürlich nach Diagnosen gefahndet wird und auch „incentives“ bestehen, diese Diagnosen dann zu behandeln, weil man damit Geld verdienen kann. In Schweden wird das zum Beispiel völlig anders gemacht. Da sehen die Gesunden den Arzt zu Beginn des Screenings gar nicht. Da werden die Früherkennungsuntersuchungen durch nicht-ärztliche Mitarbeiter in organisierter Weise durchgeführt, von der Blutentnahme bis hin zur Bildgebung. Und erst dann, wenn eine Diagnose festgestellt wird, kommt der Arzt ins Spiel. Das ist ein riesengroßer Unterschied. Deutschland ist in Europa in Bezug auf ein organisiertes Prostatakrebs-Screening Programm das Schlusslicht, weil man Angst vor den Kosten eines Screenings hat, ohne diese bis zum Ende durchkalkuliert zu haben. Würden wir Gesunde in einfacher Form screenen (Tests z. B. über Apotheken oder als Selbst-Tests), Ärzte dann hinzuziehen, wenn es um invasive Diagnostik und Behandlung geht, eine organisierte Wiedereinladung der Risikogruppen und eine reduzierte Testung bei Männern durchführen, die ein sehr geringes Risiko haben, würden Tausende von fortgeschritten erkrankten Männern mit Prostatakarzinom im Alter verhindert werden, die aktuell sehr viel Kosten verursachen. Das Kostenargument, das immer vorgebracht wird, ist bei näherem Hinsehen nicht valide. Und damit ist ein risiko-adaptiertes, organisiertes Screening ein wesentlicher Punkt. Wenn Screening in dieser Weise durchgeführt würde, könnte man viele unnötige Diagnosen vermeiden. Das ist das Prinzip, dass wir ändern müssen und das ist bisher nicht von allen erkannt.
Blue Ribbon: Vielleicht auch ein wichtiger Schritt in der Wahrnehmung der Männer, die zur Untersuchung gehen. Es senkt die Ängste und die Hemmschwelle, wenn es die ‚Gesunden Untersuchung‘ ist und nicht die Suche nach dem Krebs.
Prof. Albers: Genau, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Als Frau können Sie das vielleicht nachempfinden, wenn Sie zur Mammographie eingeladen werden, dann gehen sie nicht zur Gynäkologin sondern in ein Mammographie Screening Zentrum. Da geht es erstmal darum: Haben Sie überhaupt ein Risiko, ein Mammakarzinom zu bekommen. Und das haben wir bei Prostatakrebs nicht. Wir bräuchten eigentlich Präventionszentren, die erst einmal ganz nüchtern die Anamnese und medizinische Geschichte erheben, nach Krankheit in der Familie fragen, nach Betroffenen in der Familie mit Krebserkrankungen. Diese Anamnese umfasst dann üblicherweise mehrere Krebserkrankungen - zum Beispiel auch Darmkrebs, denn hier geht es um eine ähnliche Altersgruppe. Danach werden dann ganz gezielt Untersuchungen initiiert. Dieses Vorgehen erfordert keinen Arzt. Ärzte sollten idealerweise erst dann hinzugezogen werden, wenn die Diagnose gestellt ist oder es sich andeutet, dass ein hohes Risiko für eine Krebserkrankung besteht. Die Aufklärung für diese Art von Früherkennung muss deutlich verbessert werden, um letztlich eine hohe Akzeptanz für organisierte Screeningprogramme zu erhalten. Wenn Sie heute in Deutschland einen Mann fragen, geht er entweder gar nicht zur Früherkennung oder er geht jedes Jahr. Und beides ist falsch. Das ist bei Frauen übrigens trotz des organisierten Mammographieprogramms auch nicht wesentlich anders, aber grundsätzlich gehen mehr als doppelt so viel Frauen wie Männer zur Früherkennung,
Blue Ribbon: Das organisierte und risikoadaptierte PSA Screening ist aktuell meines Verständnisses nach die Empfehlung, die sich aus den Ergebnissen der PROBASE Studie herleitet. Ist das denn etwas, was in den nächsten Jahren in Deutschland kommt? Im Moment sind wir ja bei der Tastuntersuchung, die standardmäßig und jährlich ab 45 Jahren von den gesetzlichen Versicherungen bezahlt wird. Dazu gibt es auch keine Einladung. Die Männer müssen sich selbständig auf den Weg machen.
Prof. Albers: Es wird irgendwann kommen. Ich selbst bin gemeinsam mit Frau Professor Haug, Epidemiologin aus Bremen, vom Bundesministerium für Gesundheit nominiert, an europäischen Screeningprogrammen und der Entwicklung von Richtlinien für das Prostatakrebs Screening mitzuarbeiten. Auf europäischer Ebene ist seit März 2022 der große Startschuss gegeben worden, intelligente Screening Programme für Prostatakrebs, Magenkrebs und Lungenkrebs-Früherkennung zu entwickeln. Deutschland hat sich immer schon auf den Standpunkt gestellt, dass erst dann Früherkennungsprogramme organisiert werden, wenn es dazu bereits europäische Richtlinien gibt. Und wenn die europäische Richtlinie für das Prostatakrebs-Screening dann irgendwann veröffentlicht ist, dann wird Deutschland auch reagieren. Das wird noch ein, zwei Jahre dauern. Aber wir sind schon sehr weit. Es gibt schon in sechs Ländern Europas Pilotstudien für ein risikoadaptiertes Screening, die auch plus-minus unser PROBASE Design verwenden. Ich will jetzt nicht sagen, dass wir die Ersten sind, die das geprüft haben. Wir sind nur die Ersten, die diese neue Strategie in dieser jungen Altersgruppe geprüft haben. Denn dass risikoadaptiertes Screening Sinn macht, das wissen wir seit den Publikationen der großen Screening Studien aus Skandinavien und durch spätere Auswertungen der europäischen ERSPC Studie.
Der wichtigste Risikofaktor ist das Alter. Das heißt die Früherkennung erfolgt über einen Basis PSA Wert, der in jungen Jahren bestimmt wird. Und da diskutieren wir: ‚Ist das 45, ist das 50, ist das 55?‘ Aber in diesen plus minus fünf Jahren um 50 herum wird wohl die Wahrheit liegen. Wenn man dann beginnt, kann man 90% aller Männer beruhigen und von weiterem hochfrequentierten Screening abhalten und damit Überdiagnosen vermeiden. Und das wird mit Sicherheit irgendwann kommen.
Ich kann nur spekulieren, was in Deutschland der Grund ist, sich damit nicht zu beschäftigen. Aber die Spekulationen sind wahrscheinlich sehr nah an der Wahrheit. Es hat sehr viel mit Lobbygruppen zu tun, die über die bisherige Form der Früherkennung ihr Geld verdienen. Und die Krankenkassen möchten damit nichts zu tun haben, weil sie fürchten, dass sie über teure Bildgebung jetzt noch zusätzlich belastet werden. Wobei sie völlig verkennen, dass bei einem auffälligen PSA Wert alle weiteren Untersuchungen unter Verdacht auf Prostatakarzinom auch jetzt schon als Kassenleistung abgerechnet werden. Es wird viel mehr abgerechnet, als eigentlich sinnvoll ist. Weil einfach jeder Mann mit einem erhöhten PSA Wert einen Verdacht auf Prostatakrebs hat und dann alle Folgeuntersuchungen bezahlt bekommen muss. Und das ist eigentlich eine Form des opportunistischen, wilden Screenings, die so unsinnig ist, dass man es kaum glauben mag, weil es so hohe Kosten aufwirft, die niemand realisiert. Und wenn die Patienten das, was irgendwann erforderlich wird, nicht von der Krankenkasse bezahlt bekommen, dann bezahlen sie das selbst. Es wir deutlich zu viel Geld ausgegeben für Unnötiges, anstatt ein organisiertes Screening Programm zu etablieren. Die Datenlage ist eigentlich überwältigend, dass eine Eingrenzung des Screenings auf eine jüngere Gruppe mit initialem PSA Wert extrem viel Sinn macht und auch Kosten spart - nicht nur auf den deutschen Daten basierend. Das gibt es inzwischen in vergleichenden randomisierten Studien höchstrangig publiziert aus zwei Regionen, aus Schweden - Stockholm und Göteborg - und der neuen risiko-adaptierten großen Screeningstudien ProScreen aus Finnland und anderen Ländern. Ich weiß nicht, warum Deutschland das nicht schon lange umgesetzt hat, zumindest in Pilotstudien.
Wir sind gerade dabei mit den möglichen öffentlichen Geldgebern zu verhandeln, ob wir Pilot Studien bezahlt bekommen. Das ist relativ gesehen nicht sehr teuer. Da geht es zum Beispiel darum: ‚Wie erreiche ich Männer mit Migrationshintergrund, mit rudimentären Deutschkenntnissen oder in prekären Regionen einer Stadt lebend, weit entfernt von Gesundheitsbildung? Das testen andere Länder ganz systematisch. Nicht weil man das gerne mag oder altruistisch ist. Die kleinen Länder sind extrem aktiv darin, weil am Ende viel Geld gespart wird. Eine gute Primärtherapie des Prostatakarzinoms, die dann in den meisten Fällen den Krebs heilt, entweder durch Operation oder Bestrahlung kostet die Krankenkasse etwa10.000 Euro. Wir reden aber bei Metastasen, die auftreten, wenn der Krebs nicht rechtzeitig behandelt wurde, über Medikamentenkosten die zum Teil 100.000€ pro Jahr über mehrere Jahre umfassen. Am DKFZ haben wir PROBASE als Beispiel genommen und die ersten Cost-Effectiveness Analysen durchführen lassen. Da braucht man nicht lange nachdenken oder berechnen um wieviel günstiger ein organisiertes, risikoadaptiertes Screening wäre. Es würde sicher auch dazu führen, dass weniger Männer am Prostatakrebs sterben, aber es würde vor allem doppelt so viele davor bewahren, Metastasen zu bekommen und lebenslang behandelt zu werden. Dafür muss man am Anfang des Screenings relativ wenig Technik einsetzen. Insofern kann ich nur spekulieren, dass es andere Motive sein müssen, warum Deutschland nach wie vor an veralteten Mustern festhält. Seit 50 Jahren wird ein nachweislich unsinniges Testverfahren empfohlen, das jährliche Arztbesuche beinhaltet.
Blue Ribbon: Sie sagten bei 45-55 Jahren wird aktuell ein risikoadaptiertes PSA Screening angedacht. Gibt es auch eine Obergrenze?
Prof. Albers: Der PSA Wert wird um so weniger aussagekräftig, je älter der Mann wird. Das ist ein ganz einfaches Phänomen. Die Prostatadrüse wächst aus hormoneller Dysregulation, ähnlich wie sich bei Frauen Myome in der Gebärmutter entwickeln, gutartig ab einem Alter von etwa 55 Jahren. Der PSA Wert steigt also graduell immer ein bisschen an und man kommt immer häufiger in den Bereich, wo der Grenzwert von 3 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) gerissen wird. Aber nicht, weil dann Krebs entsteht, sondern weil die Drüse von sich aus größer wird und mehr PSA ausschüttet. Je älter der Mann wird, desto häufiger resultiert aus einem erhöhten PSA Wert eine Fehldiagnose, weil dann eine gutartige Veränderung als Ursache gefunden wird.
Die obere Altersgrenze ist aber nach wie vor nicht geklärt. Ältere Studien schlagen das Ende des Screenings vor, wenn der PSA Wert im Alter von 60 z. B. unter 2 ng/ml liegt. Das steht zumindest im Moment in der europäischen Leitlinie. Die Lebenserwartung ist aber auch weiter gestiegen. Wenn Männer z. B. aufgrund fehlender Begleiterkrankungen oder Risiken mit 60 potentiell noch 25 Jahre weiterleben, dann müsste man eigentlich die Grenze der Früherkennung ebenfalls, z. B. Richtung 70 Jahre verschieben. Aber irgendwann macht das PSA Screening dann auch wirklich keinen Sinn mehr, weil die Wahrscheinlichkeit, einen Tumor zu entdecken, der wirklich lebensbedrohlich ist, mit der restlichen Lebenserwartung deutlich abnimmt.
Erst-Screening im Alter macht aber keinen Sinn, wenn keine Vorinformation aus jüngeren Jahren vorliegen. Im Moment lassen sich aber über 50% der 65-jährigen in diesem Alter erstmalig ihren PSA Wert bestimmen. Und das macht ohne Vergleichswerte wenig Sinn. Habe ich z. B. den Wert erstmalig im Alter von 65 Jahren mit 5ng/ml bestimmt, dann brauche ich in jedem Fall ein MRT, um ein Karzinom ausschließen zu können. Hätte aber ein Vorwert z. B. mit 55 Jahren vorgelegen, der bei größerer Drüse bereits 4, mit 60 Jahren 4,8 gewesen wäre, dann wäre der 5-er Wert nicht beunruhigend.
Aktuell gehen Männer aber häufig zur Früherkennung, wenn sie in Rente gehen. Mitte 60. ‚Jetzt möchte ich ja keine Erkrankung haben oder bekommen, um mein Rentendasein genießen zu können.‘ Und wenn dann ein erhöhter PSA Wert festgestellt wird, hat diese eine Kaskade an Abklärungen zur Folge.
Aus PROBASE gibt es zwei interessante Neuigkeiten, die berichtenswert sind und gerade publiziert wurden bzw. 2024 publiziert werden. Zum einen konnten wir nachweisen, das ist schon durch die Presse gegangen, dass die DRU eine wenig sinnvolle Früherkennungsuntersuchung ist. Sie wird seit 50 Jahren von den Kassen bezahlt und wir können damit keine Prostatakarzinome im Frühstadium erkennen. Wir konnten dies bei 6500 Probanden prüfen, die getastet wurden. Es wurden drei Karzinome gefunden und alle waren harmlos. Im umgekehrten Fall haben wir fast 190 Karzinome aufgrund eines erhöhten PSA Wert gefunden, aber 86% der Karzinome waren nicht tastbar. Nicht nur, dass die DRU eine geringe Sensitivität hat, einen Tumor in der Frühform in diesem Alter zu finden. Auch die Spezifität, d. h. zu erkennen ob ein gutartiger Befund vorliegt, ist gering. Wir können Tumoren im Frühstadium nicht tasten. Diese Untersuchung ist also vollkommen vom Tisch.
Unser Konzept wäre nun, statt der Tastuntersuchung den PSA Wert einmalig im Alter von 45-50 Jahren zu bestimmen. Und dies wird in der PROBASE Studie getestet. Bei insgesamt etwa 46000 Probanden erhielt die eine Hälfte den PSA Wert im Alter von 45 und die andere Hälfte den Wert mit 50 Jahren. Das wird am Ende zeigen, ob man mit 45 oder mit 50 Jahren den Basiswert bestimmen muss. Aber wir würden sagen, man macht auf jeden Fall nichts falsch, wenn man mit 45-50 einen PSA Wert nimmt und von diesem Wert alles Weitere abhängig macht. Dann würden wir nach heutigen Daten z. B. 90% der Männer beruhigen können.
Und das ist die zweite Information, die wir publizieren. Die Studie läuft schon zehn Jahre. Es liegen also bereits von fast allen Probanden 5-Jahres Daten vor, insbesondere von denen, die einen niedrigen Basiswert hatten. Und das waren 90% aller Probanden mit einem Wert von unter 1,5ng/ml. In dieser Gruppe sind nach fünf Jahren nur 0,4% auf über 3ng/ml angestiegen. Das heißt, dass dieser Basiswert sehr sicher ist. Zumindest in den ersten fünf Jahren. Und die Studie läuft ja weiter. Aber es passt zu dem, was andere Studien schon berichtet haben. Ab 55 Jahren kennen wir die Daten aus Skandinavien. Da weiß man, dass der Basis PSA Wert eine sehr hohe Aussagekraft hat. Und wir schließen jetzt die Lücke zwischen 45 und 50 Jahren. Die Daten, die wir jetzt publizieren bedeuten, dass 90% aller, die zur Früherkennung gehen, einen Wert von unter 1,5ng/ml haben werden und dann zumindest für fünf Jahre keine weitere Untersuchungen mehr benötigen. Bisher wurden diese Männer mindestens alle zwei Jahre wieder einbestellt.
Wir würden also jetzt empfehlen, den Wert erst nach fünf Jahren zu wiederholen. Und es kann sein, dass wir in ein paar Jahren sagen, dass der Basiswert erst in 10 Jahren kontrolliert werden muss, ähnlich wie dies für die Aussage einer unauffälligen Darmspiegelung auch gilt.
Blue Ribbon: Wären Unternehmen eine Unterstützung, die über Ihren Betriebsarzt PSA Werte abnehmen und somit schnelle Daten für weitere Erkenntnisse liefern?
Prof. Albers: Betriebsärzte wären wirklich hilfreich. Es gibt auch schon vereinzelt Programme zur Früherkennung in Betrieben, häufig unterstützt durch z. B. die Landeskrebsgesellschaften. Aber es gibt bis heute kein gemeinsames organisiertes Programm unter Einschluss aller größeren Betriebe. Aber solche Reihenuntersuchungen, die bezüglicher anderer Krankheiten ja sowieso stattfinden, könnte man für eine Prostatafrüherkennung sicher gut nutzen. Eine andere Idee wären Fußballclubs. Ich war schon beim BVB im Stadion, denn das ist genau die Altersgruppe, die dafür empfänglich sein sollte.
Blue Ribbon: Spielt die Ultraschalluntersuchung eine Rolle in der Diagnostik?
Prof. Albers: Nein, zumindest nicht die herkömmlichen Ultraschallmethoden. Wir würden in Abhängigkeit vom PSA Wert lieber in der jungen Altersgruppe direkt ein MRT machen, wenn der PSA Wert über 3 ng/ml liegt. Man braucht den klassischen Ultraschall eigentlich nur zur Volumenbestimmung. Aber das ist in der Gruppe jüngerer Männer nicht notwendig, weil alle Prostatadrüsen im Alter von 45-50 mehr oder weniger das gleiche Volumen von ca. 35-40 ml haben. Wenn sie aber den ersten Wert mit 65 Jahren bestimmen, dann macht der Ultraschall schon Sinn, um zu sehen, wie groß die Prostata ist, um zu dieser Größenbestimmung den PSA Wert korrelieren zu können. Bei einer 100 ml Drüse ist z. B. ein PSA Wert von 6 ng/ml nicht unbedingt auffällig.
Es gibt aber neue Entwicklungen der Ultraschalltechnik, den Mikroultraschall, der besonders hohe Frequenzen des Schalls einsetzen (z. B. 27 MHz statt 7.5 Mhz). Mit diesen Verfahren kann man die Prostata wesentlich genauer beurteilen. Allerdings muss die Schallsonde durch den Enddarm hindurch eingeführt werden. Hierzu gibt es jetzt auch erste Daten in Europa. Wenn damit das MRT ersetzt werden könnte, wäre dies natürlich ganz praktisch. Aber im Moment ist das noch nicht der Standard.
Blue Ribbon: Die Biopsie ist aber nach wie vor das entscheidende Verfahren, um einen Verdacht zu bestätigen oder auszuräumen?
Prof. Albers: Genau. Es geht im Moment leider noch nicht ohne Biopsie. Aber wir würden die Anzahl derer, die eine Biopsie benötigen nach dem jetzigen Algorithmus auf weniger als 50% drücken. Die aktuellen deutschen Leitlinien sehen vor, dass man jeden Mann mit einem PSA Wert über 4ng/ml biopsiert. Im neuen Algorithmus würde man ab 3ng/ml erst einmal ein MRT machen. Dann benötigen nur noch 30-40% der Männer eine Biopsie, weil sie im MRT einen wirklich klaren pathologischen Befund haben. Auch hier kann PROBASE Daten von vielen Hundert MRT Befunden zur Auswertung zur Verfügung stellen. Es ist unser Bestreben, die Zahl derer, die letztlich invasiv diagnostiziert, also biopsiert werden müssen auf unter 30% zu drücken. Das wäre eine enorme Verbesserung. Im Moment sieht es etwa wie folgt aus: Ein Mann bezahlt einen PSA Wert, der ist hoch, er wird biopsiert. Dann findet man nur bei 25% ein Karzinom. Das heißt bei Dreiviertel der Männer biopsieren sie unnötig die Prostata. Das wollen wir ändern.
Blue Ribbon: Eine Revolution rollt über das Land.
Prof. Albers: Ja, aber noch unerkannt.
Blue Ribbon: Erleben Sie häufig, dass Patienten jemanden zum Früherkennungs-Aufklärungsgespräch mitbringen?
Prof. Albers: Ja, zu diesen Gesprächen bringen über 90% die Partnerin oder den Partner mit. Das halte ich auch für sehr sinnvoll, denn auch ausgeklügelte Screening-Algorithmen haben Nachteile. Man muss sich im Vorfeld wirklich genau informieren und hier helfen natürlich auch Gespräche mit der Familie.
Blue Ribbon: Die Active Surveillance ist eine Form der ‚Behandlung‘, die hilft, Übertherapie entgegenzuwirken und bei der erstmal keine Therapie erfolgt, obwohl man etwas gefunden hat. Wie erklären Sie das den Männern in der kurzen Zeit, die man hat, um mit ihnen zu sprechen.
Prof. Albers: Ich arbeite in einer Klinik, in der seit 15 Jahren sehr viel Active Surveillance empfohlen wird. Und auch in einer für Patienten besonders schonenden Art, weil wir dominant MRT Untersuchungen in der aktiven Überwachung einsetzen und auf Re-Biopsien verzichten. Letztlich kann man aber häufig auf eine erneute Biopsie vor einer Therapieentscheidung in aktiver Überwachung noch nicht verzichten. Wir benötigen die Biopsie, um zu bestimmen, wie aggressiv der Krebs ist. Das kann man an den Bildern noch nicht zu 100% ablesen. Es gibt inzwischen neuere Entwicklungen wie z. B. Radionuklid Untersuchungen wie das PSMA PET, das Hinweise auf die Aggressivität des Tumors liefert. Vielleicht kommt das irgendwann. Dann könnte man für die Entscheidung zur aktiven Therapie auf eine Re-Biopsie verzichten.
Grundsätzlich ist aber eine verzögerte Therapie durch eine aktive Überwachung bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Tumor wirklich aggressiv wird, sehr attraktiv. Unter MRT Kontrolle kann der Patient dann häufig mehrere Jahre ohne Behandlung leben. Es bleibt lediglich die psychische Belastung um das Wissen um eine Krebserkrankung, aber viele Männer gehen damit nach guter Aufklärung erstaunlich gelassen um. Wenn dann in höherem Alter z. B. operiert wird, sind viele Nebenwirkungen nicht mehr so gravierend. Der Erhalt der Kontinenz ist bei einem guten Operateur in einem Prostatakarzinomzentrum mit einer guten Technik, meist heutzutage roboter-assistiert kein großes Problem mehr. Eigentlich nur bei wirklich alten Patienten mit Mitte siebzig und älter, weil in diesem Alter der Beckenboden selbst häufig bereits schwach ist. Aber der Potenzverlust ist auch bei jüngeren Patienten wirklich ein Problem. Er liegt bei 20-30% auch bei 50-60 jährigen Männern. Und dies ist eine erhebliche Verschlechterung der Lebensqualität. Daher ist es schon ganz gut, wenn man erst dann operiert, wenn es notwendig ist.
Manchmal kann man durch die aktive Überwachung die Operation oder Bestrahlung komplett umgehen oder zumindest um 6-8 Jahre verschieben. Und das macht insbesondere bezogen auf die Potenz einen riesengroßen Unterschied. Wenn sie einen 55-jährigen Mann haben, der im Leben steht und auf seine Potenz häufig sehr viel Wert legt und dies für ihn einen großen Anteil an seiner Lebensqualität darstellt, dann ist das bei vielen Männern mit z. B. 65 – 70 Jahren häufig schon anders.
Blue Ribbon: Sie haben die Potenz angesprochen. Ist das etwas, was sich wieder erholt?
Prof. Albers: Da gibt es gute Daten für die Operation und die Bestrahlung. Bei der Bestrahlung wird die Potenz über die Folgejahre immer schwächer. Bei der Operation ist das Gegenteil der Fall. Beim Erhalt der für die Potenz wichtigen Gefäß-Nervenkomplexe bei der Operation resultiert zwar häufig ein initialer Potenzverlust, die erektile Funktion erholt sich aber dann im Verlauf wieder. Manchmal dauert dies aber ein halbes Jahr und länger.
Blue Ribbon: Ist es so, dass sich Krebszellen, die bei der Biopsie angepiekst werden, im restlichen Körper verteilen und Metastasen dadurch entstehen können?
Prof. Albers: Das kann nicht passieren. Wahrscheinlich deswegen nicht, weil der Prostatakrebs eine andere Biologie hat. Wenn ich Prostatakrebs Zellen aus der Prostata herausnehmen und ins Blut spritzen würde, dann wachsen diese Zellen an anderer Stelle meist nicht an. Die sogenannte Metastasierung hat eine eigene Biologie, Krebs ist nicht infektiös.
Das heißt, vor der Biopsie braucht man erstmal keine Angst zu haben. Die Komplikationsrate liegt bei 1%. Das sind diejenigen, die richtige Infektionen bekommen. Wenn man es gut macht, ist die Biopsie fast schmerzfrei, so wie Blut abnehmen. Aber trotzdem versuchen wir natürlich, diese invasive Diagnostik zu vermeiden.
Blue Ribbon: Wird der Penis kürzer, wenn man die Prostata heraus operiert?
Prof. Albers: Also der Penis selbst wird nicht kürzer. Aber die Harnröhre wird durch die Anastomose häufig nach innen gezogen und viele Patienten berichten tatsächlich über eine Verkürzung bei der Erektion. Das ist also kein Märchen. Das ist technisch bedingt. Die Prostata umgibt ja zum Teil die Harnröhre. Durch eine besondere OP Technik, die große Teile der Harnröhre erhält, kann man diese Verkürzungen vermeiden.
Wir danken Herrn Professor Albers für seine Zeit und die Bereitschaft seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und seine Erfahrungen aus der täglichen Praxis, mit uns zu teilen.